Die spannende Suche nach den geheimnisvollen Mistelfressern
Die Beobachtung
Am Neujahrstag 2010 sah ich zum ersten Mal einen kompakten Haufen zerbissener, offenbar angedauter Mistelbeeren am Wegrand.
Mein erster Gedanke war: Da hat sich eine Misteldrossel überfressen und die Beeren wieder ausgespieen (Bild 1).
Bild 1: Der erste beobachtete Mistelhaufen aus dem Winter 2010/11: Offensichtlich ausschließlich aus Mistelbeeren bestehende Auffindung am Wegrand
Später in diesem Winter fand ich solche Mistelhaufen nicht nur am Wegrand, sondern auch auf Stubben, Steinen und liegenden Stämmen. Da kamen mir erste Zweifel
an meiner Misteldrosselhypothese (Bild 2a-b). Ich habe also herumgefragt bei Jägern, Förstern und Naturschützern. Leider Fehlanzeige:
Keiner der Befragten hatte bisher derartiges beobachtet. Da stand ich nun...
Bild 2a-c: Frische, ältere und alte, ausgelaugte 'Mistelhaufen' am Boden und auf Baumstubben
Es stellten sich zwei Fragen:
Ist das Ausgespieenes oder Losung?
Wer ist der Verursacher?
Der Wald kam mir zu Hilfe:
Schon im folgenden Winter 2010/2011 fand ich mehrere Ausscheidungen, die sowohl Haare als auch Mistelbeeren enthielten (Bild 3a-c).
Das werte ich als Hinweis, daß es sich nicht nur um Ausgespieenes, sondern auch um Losung handelt. Damit war auch klar, daß der
Verursacher dieser Hinterlassenschaften kein Vogel war, sondern eher ein Raubsäuger sein mußte.
Bild 3a
Bild 3b
Bild 3c
Bild 3a-c: Losungen mit Mistelbeeren und Säugerhaaren
Es blieb die Frage: Welcher?
Im darauf folgenden Herbst, im November 2012 fand ich entlang einer Rückegasse an mehreren Stellen die mir bereits wohl
bekannten Mistelhaufen und auch weichen, braunen Marderkot, der reichlich Mistelbeeren enthielt und außerdem sehr deutlich und
sehr unangenehm roch (Bild 4a-b). Einige Tage darauf fanden sich entlang dieser Route im frisch gefallenen Schnee Marderspuren
mit deutlichen Prantenabdrücken (Bild 5).
Damit gab es erstmals einen konkreten Verdächtigen, den Steinmarder.
Bild 4a Nicht mehr ganz frische, beginnend schimmelnde Losung mit Mistelbeeren, vermutlich vom Steinmarder, Außenansicht
Bild 4b Die Losung auseinandergebreitet mit gut erkennbaren frischen Mistelsamen
Bild 5 Marderspuren im Schnee, vermutlich vom Steinmarder
Die Gelegenheit
Gerade hatte die neugegründete Säugetier-Gruppe der NHG eine Wildkamera angeschafft, mit der wir Erfahrungen sammeln wollten.
Wir haben diese Kamera zunächst für einige Tage und Nächte an besagter Rückegasse aufgehängt. Die Ausbeute war enttäuschend.
Wir hatten einige lauschige Nachtaufnahmen von Wald und Wind, aber leider keine Akteure.
In flagranti
Am 29.12.2012 habe ich die Kamera dann ohne allzu große Erwartung an einen Platz gehängt, den ich schon seit etwa zwei Jahren immer
wieder mit Äpfeln und Apfelringen bestücke. Die Stelle war also bei den hier lebenden Waldbewohnern schon bekannt. In der näheren
Umgebung dort hatte ich in den Wochen vorher gelegentlich Mistelhaufen gefunden. Die Wildkamera hing dort an einer kräftigen Kiefer,
etwa 3m entfernt vom Futterplatz, der sich am Fuß einer Jungkiefer befand (Bild 6a). Gleichzeitig mit der Kamera hatte ich drei Äpfel
und eine Portion Apfelchips hinterlassen (Bild 6b).
Bei der Kontrolle am Morgen des 31.12.2012 waren die drei Äpfel und auch ein Teil der Apfelchips verschwunden.
Stattdessen lagen direkt unter der kleinen Kiefer zwei frische Mistelbeerhaufen (Bild 7).
Spuren waren auf dem recht trockenen, mit Kiefernadeln bedeckten Untergrund nicht zu erkennen.
Bild 6a Futterplatz mit Kamera, Blick von Süden Im Vordergrund ein nicht besetzter Fuchsbau, rechts am Stamm der großen Kiefer ist die Kamera zu erkennen, links im Bild, mit schwarzen Handschuhen markiert, die junge Kiefer, unter der das Futter liegt.
Bild 6b Blick von der Kamera zum Futterplatz in Richtung WSW
Bild 7 Futterplatz unter der Kiefer mit zwei Mistellosungen und dem Rest der vom Marder zurückgelassenen Apfelchips am Morgen des 31.12.2012
Also nichts wie nach Hause an den Computer und die Speicherkarte der Kamera auslesen!
Und was war auf der Karte? Drei Filme mit dem Täter!
Film 1:
Ein Baummarder kommt von rechts (Norden), sieht die Kamera (das dunkelrote Licht der LEDs), stutzt, zögert, geht schließlich an der Kamera vorbei in Richtung der Kiefer, unter der die Leckereien liegen, und zunächst an der Kiefer vorbei. Er sichert, geht dann zur Kiefer, rückt einen Apfel zurecht, nimmt ihn mit dem Maul auf, dreht sich mit dem Apfel im Maul um, verspritzt Harn. Dann setzt er sich links neben der Kiefer etwas ab (und hinterläßt einen Mistelhaufen) und geht schließlich mit dem Apfel im Maul in Richtung
Südwesten ab.
Film 2:
Nur 12 Minuten später steht der Baummarder wieder bei der Kiefer, diesmal mit dem Rücken zur Kamera. Er legt sich wieder einen Apfel zurecht und nimmt den etwas mühsam mit dem Maul auf. Dann wedelt er in typischer Weise mit dem Hinterteil und verspritzt Urin, diesmal vor (östlich) der Kiefer. Dann setzt er sich ab und löst sich (setzt Kot ab) und sichert gleichzeitig. Er nimmt den aufgenommenen Apfel noch einmal fester ins Maul und
trägt den in Richtung Südwesten davon.
Film 3:
17 Minuten später ist der Baummarder wieder da. Nachdem er in Richtung Norden gesichert hat, legt er sich einen Apfel zurecht und nimmt diesen mit dem Maul auf. Er markiert erneut mit Harn durch Schütteln des Hinterteils, diesmal mit dem Gesicht zur Kamera. Er setzt sich dieses Mal danach nicht ab. Dann sichert der Baummarder erneut und geht mit dem dritten Apfel ab, wieder
nach Südwesten.
Ein Baummarder holt sich alle drei Äpfel, einen nach dem anderen. Jedes Mal markiert der Baummarder nach dem Aufnehmen des
Apfels die Stelle mit Urin, bevor er den Platz verläßt. Er wackelt dazu in typischer Weise mit dem Hinterteil.
In Film 1 und in Film 2 senkt der Baummarder unmittelbar nach dem Wackeln sein Hinterteil noch einmal zur Erde, um -
Sie werden es schon ahnen - um Losung abzusetzen, nämlich Mistelbeerhaufen. Genau diese beiden Mistelhaufen hatte ich am
Silvestermorgen 2012 vorgefunden (Bild 7)! Vor dem Abtransport des dritten Apfels markiert der Baummarder mit dem Apfel
im Maul die Stelle ebenfalls mit Urin. Er setzt sich aber nicht noch einmal ab.
Beim Vergleich der Position des Baumarders auf den Filmen mit der Position der Mistelbeerlosung läßt sich die Mistellosung im Bild 7
links oben dem Film Nr. 1 und die Mistellosung auf dem Bild links unten dem Film Nr. 2 zuordnen.
Diskussion
Dank der neuen Wildkamera haben wir also einen überführten Täter, den Baummarder. (Filme 1, 2, 3 )
Der Steinmarder bleibt weiter verdächtig, hat sich von uns aber noch nicht erwischen lassen.
Mistelbeeren sind eine Nahrungsquelle nicht nur für Insekten und Vögel, sondern auch für Säugetiere. Neben den bereits
überführten Baummardern und den verdächtigen Steinmardern kommen auch Füchse, Dachse, Waschbären, Iltisse und Marderhunde
als Verzehrer von Mistelbeeren in Frage. Mistelbeeren können von den guten Kletterern wie Baum- und Steinmardern und Waschbären
während des Winterhalbjahres als Nahrung genutzt werden. Dachse und Füchse, Iltisse und Marderhunde sind darauf angewiesen,
dass sich die Mistelbeeren in für sie erreichbarer Höhe befinden. Die Vertreter dieser Arten können Mistelbeeren nach Wind- und
Schneebruch und nach Hiebsmaßnahmen im Winter ohne große Mühe verzehren (Bild 8a-b).
Bild 8a Krone einer gefällten Kiefer mit ansitzendem Mistelbuschen.
Bild 8b Armdicke Ansätze von Misteln an Ästen von gefällten Kiefern.
Bild 9 Auffindungen von Mistelhaufen während des Winterhalbjahres 2012/2013 im Kartenausschnitt, MTB/TK 6533,1, 1:25 000.
Kiefernmisteln (Viscum album) sind im Nürnberger Reichswald häufig. Im Winter 2012/13 war das Gebiet im östlichen Reichswald,
das ich durchstreife, mehr oder weniger flächendeckend mit Mistellosung übersät.
Auf einer Fläche von etwa 4 Quadratkilometer fanden sich mehr als 100 Mistelhaufen, ohne daß ich systematisch kartiert habe (Bild 9).
Aus Kiefernwaldgebiete der Oberpfalz wurde von regelmäßigen Funden von Mistelbeeren nicht nur in Losung von Stein- und Baummardern,
sondern auch von Füchsen und (vermutlich) Dachsen berichtet (mündlich Leitl 2013). Auch im südlichen Nürnberger Reichswald nahe
Harrlach und im NSG Tennenlohe wurden einzelne Mistelhaufen gefunden.
Das legt nahe, daß es sich nicht um ein lokales Phänomen handelt.
Es sind noch einige spannende Fragen offen.
Wir haben seit Anfang November 2014 schon wieder die ersten Mistelhaufen im Nürnberger Reichswald gefunden.
Wir wollen dran bleiben, neugierig wie wir auf die Bewohner unseres heimischen Reichswaldes und deren Gewohnheiten sind!
Deshalb bitten wir Sie um Ihre Unterstützung:
Falls Sie Mistelbeerhaufen, Mistelbeerlosung oder etwas Ähnliches sehen oder gesehen haben oder andere Beobachtungen in diesem
Zusammenhang gemacht haben, oder wenn Sie sonst etwas zu diesem Thema wissen, sagen Sie es uns bitte!
Kontakt per Mail: mamm@nhg.de, info@dr-kobras.de,
Kontakt per Tel. 0911/5484967 oder 09131/940590
Danksagung:
Mein Dank gilt Bettina und Detlev Cordes, die mir stets mit Rat, Tat und Material zur Seite standen.